Christian Seiterle
Erratische Infrastrukturen

Masterarbeit HS22

Energieinfrastrukturen und Öffentlichkeit

Student: Christian Seiterle

Assistent: Cosimo Caccia

Gastdozentur für Entwurf Corinna Menn

Professur für Geschichte und Theorie des Städtebaus, Prof. Dr. Tom Avermaete

Assistent: Dr. Ir. Hans Teerds

Externer Gast: Jürg Conzett



ERRATISCHE INFRASTRUKTUREN

Es gibt nur eine topografische Entwicklung am Berg - alles fliesst abwärts.

Die Wahrnehmung der unerschütterlichen, ewig bestehenden Berge ist einem dynamischen Entwicklungsbild des Alpenmassivs gewichen. Fortlaufende geologische Prozesse, welche die Landschaft formen, beschleunigt durch menschliche Einflüsse im Zeitalter des Anthropozän.

Infrastrukturen werden als statische Strukturen wahrgenommen. Sie scheinen durch ihre Funktionalität aus der Öffentlichkeit zu verschwinden und werden vergessen, gerade weil sie fertiggestellt sind. In anderen Worten gleicht die Inbetriebnahme auch dem Tod dieser Projekte.
Die Dynamik der Alpen fordert eine dynamische Betrachtung von Infrastruktur, mit Fokus auf dem Fortschritt im konstanten Spannungsfeld zwischen Erneuern, Verschieben und Verlassen. Eine Sichtweise auf Strukturen die sind, hin zu welchen die werden. Ein Ansatz bei dem nicht die Planung den Start darstellt und die Fertigstellung den Schluss, sondern der Ausgangspunkt im Bestand des Vorhandenen liegt.
Auf der Suche nach einer shiftenden, ephemeren Struktur, die den Stillstand nicht als Normalzustand sieht, können funktionale, materielle wie auch technische Antworten für eine sich immer verändernde Ausgangslage gefunden werden. Eine Dauerhaftigkeit durch Veränderung.

Mit dem Bau der Zweiten Röhre des Gotthard Strassentunnels werden die Hochspannungsleitungen, welche die Kraftwerke der Reusskaskade mit dem Tessin verbinden, in den Tunnel verlegt. 70 Strommasten fallen durch dieses Vorhaben zwischen Göschenen und Airolo weg. Diese Masten dienen als materieller Ausgangspunkt und sollen, anstelle ihrer Entsorgung, einen öffentlichen Nutzen im Tal finden. Insgesamt werden so 1200 Tonnen Stahl-Profile rückgebaut und umgenutzt. Zurück bleiben die Fundamente als verstreute erratische Blöcke in der Landschaft. Nebst ihrer materiellen Präsenz bieten auch sie Anhaltspunkte für Neuinterpretation.

Mit dem Tunnelbau verdoppelt sich die Bevölkerung in Göschenen. Zusammen mit dem neunen Kunstdepot, dem temporären Wohnraum für die Arbeitenden und der Nutzung des Kraftwerkstollen als Ausstellungsraum zeichnen sich neue Bewegungsachsen in Göschenen. An Ihrem Kreuzungspunkt entsteht ein Raumgerüst. Eine öffentliche Struktur, welche die Extreme der Landschaft erkundet und auf ihrer vielschichtigen Historie aufbaut. Immer mit dem Anspruch, Neues werden zu können. Erschliessung, Orientierungspunkt, Theater - öffentlicher Platz in dem die Infrastruktur zum Darsteller in ihrem eigens kontrollierten Raum wird.

In der Logik der topografischen Entwicklungsrichtung am Berg fliessen diese Materialien, nach der Bauzeit des Tunnels, weiter ins Tal hinunter und kommen dort zum Einsatz, wo ein Potenzial für einen neuen, öffentlichen Nutzen besteht. Fertige Orte - verlassene Orte - Ruinen. Ziel des Projektes ist es, dem Verlust entgegenzuwirken und die Bauhistorie nicht zu verneinen, sondern einen neuen Bezug zu ihr zu finden. Die Bewegung der Infrastruktur wird zum Antrieb für etwas Neues, anstatt zurückzugehen, zu einem künstlichen Status quo